Internationaler Schallplattenpreis

Schallplattenpreis 2004


Jury:
Rémy Franck, Luxemburg; Dietmar Holland, München; Paolo Petazzi, Mailand; Gregor Willmes, Köln
Vorsitz: Attila Csampai, München

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Kategorie A: Wiederveröffentlichungen:

Gustav Mahler:  Symphonie Nr. 1 D-dur („Der Titan“)
NDR Sinfonieorchester Hamburg
Leitung: Kyrill Kondraschin

Aufnahme: Konzertmitschnitt 7. März 1981, Concertgebouw Amsterdam (Erstveröffentlichung: 2004)

EMI  5 62856 2 0

Der 1914 in Moskau geborene Kyrill Kondraschin war der wichtigste Mahler-Förderer jenseits des Eisernen Vorhangs. Bereits in den 60er Jahren, als Mahler selbst im Westen noch kaum beachtet wurde, dirigierte er als Chef der Moskauer Philharmoniker denkwürdige Aufführungen fast aller Mahler-Symphonien und setzte sich vehement für den „dekadenten Romantiker“ Mahler ein. Der jetzt zum ersten Mal publizierte  Mitschnitt von Mahlers Erster entstand wenige Stunden vor Kondraschins Tod am 7. März 1981 während eines Gastkonzerts des NDR-Sinfonierochesters in Amsterdam: Kondraschin war kurzfristig für den erkrankten Klaus Tennstedt eingesprungen, und war dann nach dem Konzert einem Herzinfarkt erlegen. Die Aufführung bezeugt in eindringlicher Weise die ganz eigene, von höchster emotionaler Intelligenz gespeiste Mahler-Handschrift Kondraschins.  Von der Ersten gibt es zwar mittlerweile weit mehr als hundert Alternativen, aber kaum eine, die die Aufbruchsstimmung, den subtilen Witz und die neuartige „Welthaftigkeit“ dieses unter Mühen entstandenen Erstlings so flüssig, so elegant, so zielgerichtet und zugleich pathetisch-tiefgreifend sinnfällig werden ließe wie dieser kurzfristig anberaumte Spontan-Akt eines echten Musikmagiers.

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Kategorie B: Neuproduktionen

Gustav Mahler:  Symphonie Nr.6 a-moll,
London Symphony Orchestra
Leitung: Mariss Jansons

Aufnahme:Live Recording, London, Barbican Hall November 2002

LSO live 0038 (2CD) Vertrieb: Note 1

Schon im vergangenen Jahr hatte Mariss Jansons mit seinen frischen und detailreichen Interpretationen der ersten und neunten Symphonie Mahlers (mit dem Oslo Philharmonic) die Jury des Toblacher Komponierhäuschens überzeugen können. Wenige Monate später erschien beim neu gegründeten
Eigenlabel des London Symphony Orchestra (LSO Live) eine ähnlich flüssige und kontrapunktisch-aufgefächerte Live-Aufnahme der „tragischen“ Sechsten Mahlers vom Herbst 2002, die seine beiden Osloer Aufführungen an Spielkultur und Stringenz noch übertrifft. Die Sechste zählt  zu den unbequemsten Arbeiten Mahlers, deren dämonische Welthaftigkeit und Shakespearesche Theatralik erst sehr spät erkannt und nur von wenigen überzeugend umgesetzt worden sind. Trotz seines eher verhaltenen, unpathetischen aber extrem detailgenauen Ansatzes setzt Jansons mit dem perfekt musizierenden LSO hier einen neuen Maßstab,   da es ihm gelingt, die innere emotionale Logik und die fulminante Dramatik dieses „Monstrums“ ganz ohne Manierismen und Effekte nachzuzeichnen, und vor allem im abschließenden „Höllenfinale“ einen beklemmenden, sogartigen Spannungsbogen zu ziehen, der seit Soltis alter Referenz  von 1970 so  nicht mehr zu hören war.
 

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Kategorie C: Sonderpreis   

Gustav Mahler: Sämtliche Lieder aus “Der Knaben Wunderhorn” in der Fassung für Singstimme und Klavier
Sopran, Diana Damrau; Bariton, Iván Paley; Klavier, Stephan Matthias Lademann
 

Aufnahme: Mai & September 2003, Mechernich, Deutschland

telos music vocal TLS 1001 (2 CD) Vertrieb: Klassik Center Kassel
 

Diese erste integrale Einspielung sämtlicher 24 “Wunderhorn”-Lieder Mahlers in der ursprünglichen Fassung mit Klavierbegleitung erhält den diesjährigen Sonderpreis der Toblacher Jury in erster Linie wegen ihres experimentellen Ansatzes und ihres hohen Repertoirewerts, und nicht unbedingt aus rein künstlerischer Zustimmung. Der junge argentinische Bariton Iván Paley und die junge deutsche Sopranistin Diana Damrau wagen es hier, den Facettenreichtum dieser nicht nur volkstümlichen, sondern auch äußerst vielschichtigen Musik lebendig auszuleuchten. Sie werden dabei impulsgebend unterstützt von dem hervorragenden Liedbegleiter Stephan Matthias Lademann, dessen prononciertes Spiel die Modernität dieser Lieder erst recht herausarbeitet. Innerhalb der ohnehin eher schmalen Diskographie der “Wunderhorn”-Lieder, vor allem in der ursprünglichen Klavierversion, überzeugt diese Neuproduktion durch ihren überaus frischen, unmanierierten, aber reflektierten Zugang, der freilich auch Widerspruch hervorrufen mag. Zwar räumt auch Iván Paley in seinem Booklet-Text ein, dass Mahler weder an Rollenlieder noch gar an Duette gedacht hat, doch hat das ihn und seine Partnerin nicht davon abgehalten, die immanente Dialogstruktur der Gesänge herauszustellen, und das trotz des nahe liegenden Einwands, dass Mahlers Dialoge sich auf imaginärer, kaum auf realer Ebene  bewegen. Einem solchen mutigen Unternehmen gilt deshalb die Zustimmung der Jury jenseits aller Bedenken, denn die Anstöße dieser Neuproduktion sind letztlich entscheidender als die Fragwürdigkeiten, denen sie auch nicht ausweicht.                           

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