Schallplattenpreis 2005
Jury:
Lothar Brandt, Stuttgart; Rémy Franck, Luxemburg; Dr. Jörg Hillebrand, Köln; Günter Schnitzler, Freiburg; Vorsitz: Attila Csampai
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Kategorie A: Wiederveröffentlichungen:
Bruno Walter - The Original Jacket Collection
Gustav Mahler: Sinfonien Nr. 1, 2, 4, 5, 9, Das Lied von der Erde, Lieder und Gesänge eines fahrenden Gesellen und Gesänge aus der Jugendzeit, Lieder eines fahrenden Gesellen (+ Werke von Bruckner und Wagner)
Columbia Symphony Orchestra, New York Philharmonic Orchestra, diverse Chöre und Solisten
Aufnahmen:1945-1961 (mono und stereo)
Sony BMG SX13K 92460 (13 CDs)
Bruno Walter (1876-1962) zählt zu den bedeutendsten Mahler-Interpreten der ersten Generation. Er stand Mahler nicht nur als Assistent am Hamburger Stadttheater und später an der Wiener Hofoper zur Seite, sondern wurde in Mahlers letzten Lebensjahren zu einem seiner engsten Vertrauten. Nach dem Tod seines Mentors dirigierte Walter die Uraufführungen des „Lied von der Erde“ und der 9.Symphonie, und blieb dann, mehr als fünfzig Jahre lang, die entscheidende Autorität bei der mühsamen Durchsetzung seines Werks.
Die jetzt in der „Original Jacket Collection“ bei Sony Classical erschienene, vorzüglich edierte 13-CD-Box enthält jeweils die spätesten Aufnahmen des „Lied von der Erde“, sowie der Ersten, Zweiten und Neunten Symphonie, dazu die jeweils einzigen offiziellen Einspielungen der Vierten und Fünften Mahlers, die Walter zwischen 1947 und 1961 für die amerikanische Columbia produzierte. Sie genießen noch heute Referenzstatus. Das offizielle Mahler-Vermächtnis Walters erklingt hier in Ausgaben „von letzter Hand“, technisch exzellent überspielt und mit den verkleinerten Original-LP-Covers versehen. Als Bonus-Tracks gibt es Probenmitschnitte des ersten Satzes der Neunten, sowie rare Dokumente des Klavierbegleiters Walter, dazu ein Interview aus dem Jahr 1956. Die mit einem 90seitigen Booklet ausgestattete Edition wird komplettiert mit Aufnahmen Walters von drei Bruckner-Symphonien und des Te Deums sowie Orchesterstücken von Richard Wagner.
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Kategorie B: Neuproduktionen
Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 6 a-moll
Berliner Philharmoniker
Leitung: Claudio Abbado
Live-Mitschnitt Berlin, Philharmonie Juni 2004Universal/Deutsche
Grammophon 00289 477 5684 (2 SACDs)
Claudio Abbados zweite Aufnahme von Mahlers 6.Sinfonie nach 1979 basiert auf einem Berliner Konzert im Juni 2004: Es war die erste Rückkehr Abbados ans Pult der Berliner Philharmoniker nach seinem Abschied als Chefdirigent im Jahr 2002. Insbesondere die parallel zur CD veröffentlichte DSD-Mehrkanalversion auf Super Audio CD vermittelt ein realistisches Abbild der Raumakustik und der besonderen Atmosphäre dieses Konzerts. Wie schon in seinen früheren Mahler-Interpretationen, bemüht sich Abbado auch bei der dämonischen Sechsten um ein hohes Maß an „Objektivität“ und legt mit präziser emotionaler Kontrolle die strengen Architekturen, aber auch die vielen „schönen Stellen“ und idyllischen Momente dieser lärmenden Symphonie des Grauens frei: Er versucht, hinter der Maske des Horrors die tief positiven Fundamente der Mahlerschen Philosophie herauszuarbeiten. Daß eine solche Vergeistigung der „Schrecken der Wirklichkeit“ die theatralischen Aspekte dieses stark ichbezogenen Werks in den Hintergrund rückt, ist fast unvermeidlich, doch Abbado zieht es vor, vier Episoden des Mahlerschen Gedankenkosmos minutiös auszuleuchten, als uns mit Schrecken und Pathos zu überrumpeln. So bezieht er eine sehr überzeugende, eigenständige, tiefschürfend-ernsthafte Gegenposition zu der bei diesem Werk vorherrschenden romantisch-drastischen Aufführungstradition und enthüllt dessen strukturelle Modernität.
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Kategorie C: Sonderpreis
Gustav Mahler: Sinfonien 1-9
Sinfonie Nr. 10 (Fassung Deryck Cooke)
Royal Concertgebouw Orchestra, Radio-Sinfonieorchester Berlin,Diverse Chöre und Solisten
Leitung: Riccardo Chailly
Aufnahmen: 1988-2004
Universal/Decca 475 6686 (12 CDs)
Just mit Mahlers großer Abschiedssymphonie beendete Riccardo Chailly im Juni 2004 sein 16jähriges Wirken beim Amsterdamer Concertgebouworkest und brachte damit zugleich seinen in jeder Beziehung vorbildlichen und bereits 1986 in Berlin in Angriff genommenen Mahler-Zyklus zu einem wirklich krönenden Abschluß. Denn auch in dieser letzten Folge seines „für die Ewigkeit“ konzipierten Mahler-Unternehmens bleibt der opernerfahrene Italiener seiner ästhetischen Grundlinie treu, und kultiviert ganz bewusst die Schönheiten und die melodischen Sogkräfte der Mahlerschen Orchesterpolyphonie. Das hat nichts mit platter Schönfärberei zu tun, sondern vielmehr mit der weisen Erkenntnis, dass Mahlers komplexe Weltsicht keines zusätzlichen intellektuellen „Drucks“ von außen bedarf, und man folglich mit einer solchen durchaus romantischen und ungemein sorgfältigen Annäherung über den Wohllaut des Tiefempfundenen und bedächtig Ausformulierten viel weiter einzudringen vermag auch in die Abgründe von Mahlers Seelenseismographie . Trotz einer für heutige Begriffe unglaublich langen Entstehungszeit von fast 20 Jahren präsentiert sich Chaillys Mahler-Zyklus im Zusammenhang wie aus einem Guss: In seiner bedächtigen interpretatorischen Genese dokumentiert er zudem in durchwegs akustisch hochwertigen Klangbildern Chaillys eigenen Reifeprozeß zu einem bedeutenden Mahler-Dirigenten.
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