Schallplattenpreis 2008
Jury:
Lothar Brandt, Stuttgart, Rémy Franck, Luxemburg, Thomas Schulz, München, Götz Thieme, Stuttgart; Vorsitz: Attila Csampai, München
--
Kategorie A: Wiederveröffentlichungen:
Gustav Mahler: Das Lied von der Erde
Alt, Maureen Forrester; Tenor, Richard Lewis;
Chicago Symphony Orchestra
Leitung: Fritz Reiner
Aufnahme: 9.November 1959, Orchestra Hall Chicago (WVÖ 2008)
SonyBMG 88697 08281 2 (Hybrid-3.0-SACD)
Auch wenn uns der unerbittliche Perfektionist Fritz Reiner (1888-1963) nur drei Aufnahmen mit Musik von Mahler hinterließ: Anhand dieser herausragenden Einspielung des "Lieds von der Erde" mit dem Chicago Symphony Orchestra erweist er sich einmal mehr als genuiner Mahler-Dirigent. Nicht nur zeichnet sich diese frühe Stereo-Produktion auf orchestraler Ebene durch phänomenale Spielkultur und mustergültige Deutlichkeit aus, auch sind die beiden Sänger perfekt in das transparente Klangbild integriert. Sowohl die kanadische Altistin Maureen Forrester als auch insbesondere der britische Tenor Richard Lewis zeigen eine hundertprozentige Identifikation mit dem emotionalen Gehalt der Musik. Demgegenüber spielt die Tatsache, dass beide gelegentlich Textverständlichkeit vermissen lassen, eine untergeordnete Rolle. Unter Fritz Reiners präzisem und gefühlvoll-intensivem Dirigat entfaltet das Werk eine tief berührende Traurigkeit und eine Abschiedsstimmung, die sich auch auf die eher heiteren Sätze überträgt, indes dies alles fern von jeder vordergründigen Sentimentalität. Man wird lange suchen müssen, um eine suggestivere und gleichzeitig luzidere Interpretation etwa des letzten Satzes zu finden. Dabei spielt das Klangbild keine geringe Rolle: Im Rahmen der audiophilen "Living Stereo"-Edition von RCA als originale Dreikanal-SACD wiederveröffentlicht, wirkt diese nun beinahe 50 Jahre alte Aufnahme so leuchtend und klangschön, als sei sie gerade erst eingespielt worden.
--
Kategorie B: Neuproduktionen
Gustav Mahler: Symphonie Nr. 4 G-durChristine Schäfer, Sopran; Royal Concertgebouw OrchestraLeitung: Bernard Haitink
Aufnahme: 7. November 2006, Concertgebouw Amsterdam RCO live 07003/Codaex (Hybrid-SACD)
Die doppelbödige Naivität und die verdächtig positive Grundstimmung der Vierten hat die umfangreiche Diskographie bislang eher gelähmt: Von Bruno Walter über George Szell bis zur Rattles und Boulez’ neuesten Lesarten herrscht klassizistische Zurückhaltung und pures Sicherheitsdenken. Der 79jährige Bernard Haitink dagegen durchbricht diese Distanz und läßt uns mit geradezu jugendlicher Emphase vom ersten Takt an das ständige „Als-Ob“ von Mahlers kunstvollen Täuschungsmanövern spüren: Es wird deutlich, dass Mahler hier in der Maske des genialischen Kindes virtuos mit den Bausteinen des Lebens und der Imagination „spielt“. Dies gilt auch für das alles entscheidende Liedfinale „vom himmlischen Leben“, das Christine Schäfer mit ähnlich doppelbödiger Raffinesse, ja geradezu „sophisticated“ vorträgt und uns ganz im Sinne Mahlers im Unklaren läßt, ob dieser himmlische Bericht echt empfunden oder doch ein wenig „gespielt“ ist. Sie bewegt sich mit Mahlers Musik auf des Messers Schneide zwischen naiver Affirmation und lächelnder Distanz zu der doch recht irdisch (und grausam) anmutenden Paradiesvorstellung und macht so den Unterschied deutlich zwischen Parodie, die sich Mahler verbat, und feinsinniger Ironie, die sie klug durchschimmern läßt. Auch das Klangbild dieses Live-Konzerts zum 50. Jubiläum Haitinks am Pult des Concertgebouw Orchesters ist herausragend - in hochauflösender, klar durchgezeichneter Mehrkanal-Qualität.
--
Kategorie C: Sonderpreis
An Dame Janet Baker für Ihre herausragenden Interpretationen der Lieder Mahlers und insbesondere für Ihre legendären EMI-Produktionen der Rückert-Lieder, der Kindertotenlieder und der Lieder eines Fahrenden Gesellen unter der Leitung von John Barbirolli in den Jahren 1967 und 1969, die 2008 im Rahmen der Jubiläums-Edition zu Ihrem 75. Geburtstag wiederveröffentlicht worden sind (EMI 2 08087 2). Die innere Ruhe und Intensität, die ergreifende Schlichtheit und Aura ihrer Gestaltung waren
einzigartig und sichern ihr auf Dauer den Rang einer „idealen“ Mahler-Interpretin.
--