Schallplattenpreis 2012
Jury:
Lothar Brandt, Zürich; Rémy Franck, Luxemburg; Michael Schwalb, Köln; Thomas Schulz, München;
Vorsitz: Attila Csampai, München;
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Kategorie A: Wiederveröffentlichungen:
Gustav Mahler: Symphonie Nr. 6 a-moll
Leitung: Antal Doráti
The Israel Philharmonic Orchestra
Aufnahme/incisione: Tel Aviv, 27. November 1963, Mann Auditorium, Erstveröffentlichung
Helicon 02-9642 / Vertrieb: harmonia mundi (mono - TT : 71’13)
Der 1906 in Budapest geborene Antal Doráti ist als Mahler-Dirigent nur selten in Erscheinung getreten, obwohl ihm dessen musikalisches Idiom als Kind des Vielvölkerstaates vertraut war. Bisher waren von ihm nur zwei späte Konzertmitschnitte der Fünften und Neunten (aus Stockholm und Berlin) gelistet, und insofern ist die jetzt in den Archiven des Israel Philharmonic entdeckte Sechste ein echter Fund, und ein großartiges Zeugnis seiner tiefen Mahler-Affinität.
Die Live-Aufführung wurde am 27. Oktober 1963 in Tel Aviv mitgeschnitten und zählt zu den ganz frühen Einspielungen des lange Zeit verkannten Werks. Erst acht Jahre zuvor hatte die amerikanische Erstaufführung unter Mitropoulos stattgefunden und die später maßgeblichen Aufnahmen unter Bernstein, Szell, Kubelik und Solti lagen noch in weiter Ferne. Doráti aber verstand es bei dieser seltenen Gelegenheit, den ganz spezifischen tragisch-leidenschaftlichen Ton, die innere Unruhe und die hochdramatischen emotionalen Wechselbäder dieses sinfonischen Alptraums mit großer Souveränität in einen durch und durch logischen und verständlichen Erzählfluss zu formen und zu bündeln, und so auch die von Alma Mahler immer wieder beschworene Ebene der persönlichen Welt- und Leiderfahrung Mahlers ins Zentrum einer ganz realistischen Schreckensvision zu rücken. Der Grundton der tragischen Lebenserfahrung, der Ohnmacht des Genies gegenüber der Übermacht des Wirklichen, bleibt der rote Faden in Dorátis leidenschaftlicher, psychologisch sensibler Interpretation und sein natürlicher, dramatisch stringenter und ungemein schlüssiger Erzählduktus trifft immer das richtige, der Situation angemessene Tempo. Wir erleben die Geburtsstunde eines großartigen, echt „kakanischen“ Mahler-Dirigenten und eine frühe Modellaufführung eines Meisterwerks, das damals um seine Anerkennung noch bangen musste.
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Kategorie B: Neuproduktionen
Gustav Mahler: Symphonie Nr. 9
Symphonieorchester des Bayrichen Rundfunks
Leitung: Bernhard Haitink
Aufnahme: München, 15.-16. Dezember 2011, Philharmonie im Gasteig
BR-Klassik 9001113/ Vertrieb: Naxos (TT: 79’53)
Mahlers Neunte, seine letzte vollendete Partitur, gilt seit ihrer postumen Uraufführung im Juni 1912 als ein Manifest des Abschieds von der Welt:
So dominieren auch in der riesigen Diskographie des Werks eher resignative bis elegisch beschwörende Lesarten, obwohl die beiden Mittelsätze eine andere, der Lebenswirklichkeit zugewandte Sprache der feinen Ironie und der grotesken Überzeichnung sprechen. Im Rahmen des von den BR-Symphonikern ausgerichteten Mahler-Zyklus hat Altmeister Bernard Haitink im Dezember 2011 mit dieser Symphonie einen absoluten Höhepunkt gesetzt.
Selten hat man den immensen Farbenreichtum und die polyphone Vielstimmigkeit dieses janusköpfigen Meisterwerks so sinnlich-auratisch, so versöhnlich-tiefempfunden, so souverän strömend und in schönsten Wohllaut gehüllt erleben können wie in dieser auch akustisch perfekten Stereo-Aufnahme aus dem Münchner Gasteig. 55 Jahre Mahler-Erfahrung schärfen den Blick fürs Wesentliche, und so begnügt sich der altersweise Magier mit der Rolle des souveränen Koordinators, während die exzellenten Musiker in kollektiver Trance über sich hinauswachsen. Mit großer innerer Ruhe verklammert er die vier disparaten Sätze zu einer homogenen Erzählung, zu einem mächtigen Abgesang des Lebens und der Liebe, zu einem grandiosen, gefassten Schlusswort.
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Kategorie C: Sonderpreis
An den japanischen Tonmeister und Produzenten
Tamoyoshi Ezaki (Exton Studio Yokohama)
Für seine audiophilen, modellhaft transparenten und präzisen SACD-Aufnahmen der Symphonien I, III, IV und V mit dem Pittsburgh Symphony Orchestra unter Manfred Honeck beim japanischen Label Exton (ebenso für seine früheren ähnlich hochwertigen Mehrkanal-Aufnahmen der Mahler-Symphonien III, IV, V und VII mit Zdenek Mácal und der Tschechischen Philharmonie, ebenfalls bei Exton). Ezaki, der zu den Pionieren der hochauflösenden Mehrkanaltechnik zählt, erfüllt in seinen holographisch anmutenden Klangbildern Mahlers Forderung nach Deutlichkeit und nach der völligen Durchhörbakeit seines polyphon aufgefächerten Orchestersatzes in idealer Weise. Seine filigran durchgezeichneten, stets natürlich ausbalancierten, farbenprächtigen Klangbilder übersetzen die innere strukturelle Komplexität von Mahlers Partituren in ein hochdifferenziertes Klanggewebe, das man in der akustischen Realität einer Konzertaufführung so kaum zu hören bekommt. Sein raffiniertes Klangdesign
setzt auch ästhetisch neue Maßstäbe: Es dokumentiert den hohen Anteil
des Tonmeisters am künstlerischen Gesamtergebnis.
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